20.9.06

Wahlloses

Liebe LeserInnen!
Habe schon lange nichts mehr gebloggt. Hatte einfach keine Zeit und keinen Bock vor lauter grausigem Wahl-Bla-bla, Bawag-, Kampusch-, Pflegenotstands- Aufgeregtheiten. Österreich hat mir die Red verschlagen, also habe ich Österreich aufgeschlagen und von nun an musste ich nicht mehr selber denken. Österreich und die ganze Welt in schnuckeligen Appetithäppchen abgepackt plus Hochglanzsociety-Studentenfutter. Ich war überwältigt und sprachlos, stopfte News, Standard, Sonntagspresse, Kurier, Kronenzeitung heißhungrig in mich hinein, auf der Suche nach einem authentischen Halbsatz, was sage ich - einem stimulierenden Stichwort, Beistrich, zumindestens Fragezeichen. Das Wunder hat sich nicht ereignet, also verfolgte ich, medial überfressen und doch ungesättigt, die aufregenden intellektuellen Thurner-Übungen der Wahlkonfrontationen im ORF, wo ich außer dem Parfum von Scheiße durch die Verdoppelung xenophober Scheußlichkeiten aus dem Großmaul der HaiderKlone und klischeehaften Phrasen der Großparteien, nur einen sympathischen, weil ehrlich wirkenden grünen Großvater entdecken konnte, der unbedingt Dritter werden und mitregieren will. Gähn.Und täglich grüßt das Murmeltier. Also poste ich vorerst nur ein altes Gedichtchen von Anfang Juni, das vor 10 Jahren schon mindestens ebenso aktuell war wie heute. Das Datum ist zwar so abgelaufen wie sämtliche Wahlversprechungen, aber was solls - Die Lügen werden ja auch gefressen. Guten Appetit!

5. Juni 2006-06-05

In der Endlosschleife
mangels demokratischer Reife


Wähler was bist du. Ein aufgeblasener Sack
Ein Spielball für politisches Lumpenpack
Der sprichwörtliche kleine Mann
Den man mit heißer Luft aufblasen kann
Bis er sich groß wähnt, mächtig und umschwärmt,
Der sich an Illusion und Lüge wärmt
Und der, was man ihm vorsetzt, folgsam frisst
Der alles glaubt und dann sogleich vergisst
Der wie ein Luftballon an dünnem Band
Hängt, ausgeliefert an der Kandidatenhand.
Mal rot, mal blau, orange, grün, was auch immer
Einfältig, eingefärbt und ohne Schimmer
Von dem was wirklich rund um ihn passiert
Weil ihn die Oberfläche nur interessiert
Das lauteste, bunteste, gewaltigste Spektakel
Politischer Feuerschlucker protzigstes Orakel.

Weil er genussvoll alles was ihn ablenkt frisst
Und dabei seine Mickrigkeit vergisst
Sein Duckertum, seine Geduld sein braves Folgsamsein
Seine Mitläuferschuld, dass er ein armes Schwein
Ist, in einer Welt aus Mist.
Dass er nach unten tritt, wenn er nach oben duckt
Dass er den Schwächeren auf die Köpfe spuckt
Wie gern er, der doch nichts zu melden hat
Den Mächtigen dient und herrscht an ihrer statt
In Uniform, zivil, im Rang ein Glied
Ein Hierarchiensprösschenuntertan
Seit ewig tönt das ewig gleiche Lied,
Trägt er der Mächtigen Joch und Schwert und Fahn`
Merzt er den Gegner aus und wenns der Bruder ist
Weil er verblendet Seel und Hirn vergisst.

So funktioniert auch jetzt Demokratie
Das Volk herrscht nicht, ist Stimm- und Stimmungsvieh
Zur Wahl stehen nur die Hirten und die Führer,
Herausgeputzte, laute Trommelrührer
Schaumschläger, Schmalzverkäufer, Suderanten,
Kurpfuscher, Bader, Lügenlieferanten
Falschmünzer, Trickbetrüger, Halsabschneider,
Möchtegernkaiserns „neue Kleider – Schneider“,
Die, wenn man sie am Kragen packt
Und in den nichtvorhandenen Kleidern schüttelt
Und prüft, auf Nieren und Gewissen
Zugeben müssen: Wir sind nackt!
Wir haben aus- gedient, geherrscht, gebüttelt!

Doch leider tut das niemand, ganz im Gegenteil
Die Eingeseiften hierzuland halten Maulaffen feil
Die Nasgeführten gehen zu Modeschauen
Und werfen Seitenblicke voller Schafsvertrauen
Auf ihre Leithammeln und Lügenbarden
Verschenken an jene die sie ins Verderben
Lenken, Milliarden und ernten nur die Scherben

Landeshauptleute, Finanzminister, Bankdirektoren
Die Verbrechermeute bleibt ganz ungeschoren
Und die Demokratie ganz ungeboren
Und die nächste Wahl, welch Infamie
geht höchstwahrscheinlich auch verloren
für die Menschlichkeit
Die Menschheit ist noch nicht soweit
Der Demokratie fehlt noch die Reife
Die Katze beisst sich wieder in den Schwanz
Und es beginnt der selbe Affentanz,
Dieselbe Endlosschleife:

Wähler was bist du
Ein aufgeblasener Sack
Ein Spielball für politisches
Lumpenpack
Der sprichwörtliche kleine Mann
Den man mit heisser Luft
Aufblasen kann …

3.7.06

Blop so!

Willi Stelzhammer / Venedig in Simmering
Gedichte und Lieder / edition sonnberg


Buchpräsentation und Lesung als poetischer Krimi

Was macht „Venedig in Simmering“ in Döbling?

Auf den ersten Blick könnte man denken man/frau hätte sich in der Adresse geirrt. Das kleine Antiquariat „erlesenes“ von Joy Antoni, mit seinem schwarz lackierten Portal und seinem edlen Interieur, voll gut sortierter literarischer Leckerbissen, in der Weinberggasse 17, nicht weit vom Döblinger Sonnbergmarkt und Thomas Bernhard`s Obkirchergassen-Wien-absteige, könnte sehr gut auch in einer Veneziani-schen „Calle“ liegen, so südländisch hat es sich heute herausgeputzt. Kleine Fähnchen in Grün, Weiss, Rot (endiamo ragazzi), die sich bei näherer Betrachtung nicht als bunt behängte Wäscheleinen, sondern als vervielfältigte Abbilder des Buchcovers der Neuerscheinung der edition sonnberg entpuppen, umrahmen flatternd den für den festlichen Anlass improvisierten Gastgarten vor dem Geschäft und lassen eher an die Neueröffnung einer feurigen Pizzeria oder eines weiteren Eissalons denken, als an den Ort einer „vergeistigten“, dichterischen Heimsuchung. Erst der zweite Blick macht klar worum es wirklich geht. In der Antiquariatsauslage, unbescheiden hinter den riesigen Lettern eines Bachmanngedichts hervorlugend, blinkt, feierlich drapiert, das Objekt der heutigen Begierde als optischer Mittelpunkt: der neue Gedichtband von Willi Stelzhammer. Venedig in Simmering, Gedichte und Lieder, herausgegeben von der kleinen Döblinger edition sonnberg. Heute wird er hier vorgestellt und er blinkt wahrlich unverschämt, denn er ist mit einem kleinen Leuchtfußball geschmückt, - augenzwinkernde Reminiszenz an die Gottheit Fußball-WM, poetische Versöhnungsgeste an die unvermeidliche, weil unverwüstliche Populärkultur.

Im Antiquariat „erlesenes“

Das Antiquariat, bereits überfüllt und überhitzt, wird gleich aus allen Nähten platzen. Durch die Reihen der Klappsessel werden von flinken Händen Tabletts mit Prosecco und anderen probaten „Kühlmitteln“ balanciert, aus der Tonanlage temperiert die markante Stimme Fabrizio De Andrè`s das Raumklima. Einzig das Meer fehlt. Die Gondel ist schon da, allerdings als kleine Kitschminiatur auf dem gedrechselten Lesetischchen in der Ecke, wo sie mit ihren vielfarbigen Lichtlein, ungeduldig wie das Publikum, auf`s Ablegen zu warten scheint. Das Publikum, etwa siebzig Personen, viel zu zahlreich für die kleine Buchhandlung, ist geteilt in „die Drinnen“, die redlich schwitzen und „die Draußen“, die den lauen Sommerabend genießen und es gar nicht eilig haben. Auch hier regiert die bunte Mischung – Poesie kennt keine Grenzen - der Herkunft und Zugehörigkeit. Zu hören sind sie gekommen und auch selber zu plaudern – Familie, FreundInnen, Nachbarn, Kinder, die Lehrerin, Jugendliche, der Bezirksvorsteher, die bekannte Geschäftsfrau, die Pensionistin, der Uhudla-Verkäufer und Redakteur … Lesen und Poesie verbindet.

Pünktlich, mit einer halben Stunde Verspätung ,
endlich die „Erlesung“


Der Dichter selbst, nein - er ist kein lockiger Pizzalieferant und er bringt keine Schachteln mit „Pizza al fungi“, sondern warme, frischgebackene Gedichtbände, die später auch weggehen sollten wie die sprichwörtlichen „warmen Semmeln“ - ist eher untypisch. Weder blass noch introvertiert und mit erwähnter halbstündiger Verspätung beginnt er den schweißtreibenden Abend mit einem Gedicht, das seiner erst vor kurzem verstorbenen Mutter gewidmet ist, die, wie er sagt, zeitlebens sein bestes, dank-barstes, unermüdlichstes Publikum gewesen war und die, er sagt es und man glaubt und fühlt es auch irgendwie, auch diesmal zugegen ist. Die Mutter ist gegangen / Und hat mich lassen stehen / Ich streichelte ihre Wangen / Versprach ihr ein Wiedersehen (…) Dort wo keine Schmerzen wir haben / Alle Menschen sind freundlich und gleich / Alle Zwietracht und Streit sind begraben / Alle sind dort von Liebe so reich (…) Sahst aus Deinem Mantel von Leinen / Skeptischen Auges mich trotzig an / Deinen ewig träumenden Kleinen / Der die Wahrheit nicht fassen kann (…) Ich streichelte sanft ihre Wangen / Und schloss das Auge ihr zu / So schnell ist die Zeit vergangen / Dann bin ich nach Draußen gegangen / In Unruh und ließ sie in Ruh.

Diesem berührenden Beginn war eine kurze Vorstellung der „edition sonnberg“ und ihrer Pläne durch den Verlagsleiter Dr. Rainer Clauss vorgelagert gewesen, mit dem Hinweis, dass dieses Buch vom Bundeskanzleramt und von Wien Kultur gefördert wird. Daran hatte sich die Begrüßung der Gäste und die Danksagung des Autors an alle GeburtshelferInnen des Büchleins und MitgestalterInnen dieses Abends geschlossen:
„Ohne Joy Antoni und ihrem Antiquariat „erlesenes“ hätte es das Buch in dieser Form sicher nicht gegeben. Denn dieser Ort, so jung er ist, ist bereits zum „Carrefour“ der Ideen und Personen geworden und hier kam auch der Kontakt zu Herrn Dr. Clauss und seiner edition mit dem hübschen Namen sonnberg zustande, die gleich visavis von hier, sozusagen über die Straße , gelegen ist."

Pendel zwischen Poesie und Politik

Eine heiße, gute Stunde dauert dann die Lesung von Willi Stelzhammer, die von zwei mit ihm befreundeten Musikern, Isaak Loberan von der jiddischen Gruppe Scholem Aleijchem und Juan Neira, chilenischstämmiger Obmann des Stadtteilzentrum Simmering, „Centro 11“, das Willi Stelzhammer vor nunmehr 12 Jahren gegründet hatte, begleitet wurde. Stelzhammer folgte, in geraffter Form, dem Aufbau seines Gedicht-bandes, der eine Art poetisch-politischer Chronik seiner letzten zwanzig Jahre widerspiegelt und lud mit seltenem Charisma und melodischer Stimme, die den Sänger verriet, zu einer intimen, abwechslungsreichen Reise in innerste Gefühlswelten ( existenzielle Brüche und Widersprüche inklusive), evozierte Landschaften, Leiden-schaften, Jahreszeiten, Stimmungen und Verstimmungen, Zustände der Liebe und Trauer, des Verlustes, des Mitgefühls und der geteilten Freude. Kleine persönliche Berührungspunkte des Autors mit Ereignissen der jüngeren Zeitgeschichte kamen zum Vorschein, wie etwa in dem Gedicht Lichtermeer aus dem Jahre 1992, als er erfahren musste, dass zum erstenmal in Österreich das Mittel eines demokratischen Volks-begehrens gegen Menschen, als sogenanntes „Ausländervolksbegehren“ missbraucht werden sollte. Damals schrieb er: Hat das Meer Angst vorm Regen / Fühlt der Tropfen sich allein / Wenn die Wellen sich bewegen / Wirds ein Sturm im Glase sein (…) Gibt es Grenzen gegen Fluten / Gibt’s Gesetze gegen Recht / Ist das Inland Gut der Guten / Und das Ausland Knecht und schlecht (…) Wer den Wind sät wird Sturm ernten / sah schon Lämmer die zum Schlachten gingen / Und sich wehren lernten / Und den Wolf zur Strecke brachten (…)
Einen Monat später, im Jänner 1993, er war unterdessen Mitbegründer der Initiative SOS Mitmensch und einer der Hauptkoordinatoren des Lichtermeeres geworden, standen 259.000 Menschen gegen Ausländerfeindlichkeit am Heldenplatz.


Aber auch Begebenheiten des Alltags werden immer wieder gestreift, etwa im Kindergartenrap, wenn seine Tochter Elena sich nicht und nicht anziehen lassen will und er sie am liebsten an die Decke kleben würde. (…) Ich schleppe sie und ihren Sack / Bis in den Kindergarten / Natürlich kommen wir zu spät / Und alle Tanten warten (…) Nach außen hin bin ich ganz ruhig / Doch innerlich, da kocht er / Und jeder irrt sich, der da glaubt / Der Mann liebt seine Tochter

Zum Greifen dichte, tiefe Betroffenheit macht sich breit nach dem Gedicht „Täter-profil: Es war ein Einzeltäter“, diesem gewaltigen und schockierend eindringlichen Briefbombenrap gegen die kollektive Verdrängung der gesellschaftlichen Wurzeln von Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit in unserem Land, gegen die allzubereite geschichtliche Amnesie der Österreicher, ihren Hang, auch als Täter und Mitläufer in die Opferrolle zu schlüpfen und den allzufreudig und erleichtert angenommenen Freispruch von aller Mitschuld und moralischen Mitverantwortung zu zelebrieren, da der Briefbombenattentäter und Rohrbombenmörder der Oberwarter Roma - trotz nachgewiesenem nationalsozialistischen Umfelds und zahlreicher unüberprüfter Hinweise und Indizien auf Mittäterschaft – ja letztlich doch nur ein „verrückter Einzeltäter“ gewesen sei. Schau in den Spiegel, was tust du dagegen / Wenn sich im Wirtshaus Fremdenfeinde regen / Wenn in der Kronenzeitung Tschuschenenwitze stehen / Skinheads in der U-Bahn hast du nie gesehen / Auch Schubhäftlinge nicht in ihren stinkenden Zellen / Bevor Fremdenpolizisten sie den Henkern überstellen / Du bist unschuldig, warst nirgendwo dabei / Gar nichts interessiert Dich, bist in keiner Partei / Du hast ein reines Gewissen / Hast nur immer mitgebellt / nie selber gebissen / Dich nie dagegen gestellt / Du hast niemandem den Finger weggerissen / Du hast niemandem den Finger weggerissen (…)
Es war ein Einzeltäter, es war ein Einzeltäter / Ein Heinzeltäter, wie die Heinzelmännchen werken / Wenn die braven Schafe schlafen / „Ach wie gut, dass Schlögl weiß, dass ich Einzeltäter heiß“ / Es war ein unpolitischer Einzeltäter.


Immer wieder brandet Applaus auf auch für die stilleren Themen und Momente, die „aus dem Herzen der kleinen Dinge“ kommen, das Einfache, das laut Brecht "so schwer zu machen ist" und das der Autor ebenso wie Franz Schuh vielleicht für das Komplexeste und Unbegreiflichste in und an unserem Leben überhaupt, hält – die Banalität und das tägliche Wunder des Lebens in allen seinen Manifestationen. Das Zentrum liegt im Nebenbei könnte das Motto dieser Gedichte auch heissen, wenn ein zerbrechlicher Alter hoch auf den Sprossen einer Leiter steht, um in akrobatischer Verrenkung einen alten Ast abzusägen, der ihn stört. (…) der Baum wird stehen /lange nach ihm und Früchte tragen / die er heut ersehnt, oder wenn nach einem langen Winter eine Amsel ihr Bad im Frühlingsregen nimmt, um nur zwei Beispiele zu nennen. Auch Alter und Tod werden angesprochen, ausgesprochen, nicht verdrängt und schamvoll verhängt, auch nicht exorziert, einfach zugelassen, weil es sie gibt, als Teil unseres Lebens, fernab der Hochglanzmagazine, Moden und Trends. Eros und Thanatos im Alters-heim: (…) Noch lebt ihr, pulst das Blut durch euren Leib, dürr, ausgemergelt / aber ähnlich noch dem Menschenbild / Mysterium Leben – was ist schön? – der Seele Schatten und der Liebe Furchen / Wo ist vergangener Freud und Lust Verbleib / zerklüfteten, schwarzen Olivenwaldes Weib / vergangener Schlachten Mann mit brüchigem Schild / umzingelt schon von Drachen und von Lurchen?
Gleich darauf, im nächsten Gedicht stehen ihnen ein türkisches Mädel und ein tschechischer Bub gegenüber, umschlungen in der U-Bahn (…) schmal, schwarz mit / Kopftuch die eine / blond, groß, mit Muskeln / der andere (…) und spielen das ewige Spiel (…) die Jahreszeit, das Jahr / die Politik, die Herkunft / sind unbedeutend im Funkenschlag / der ersten Gefühle
.

Die Liebe fragt nicht was sie darf

Vor allem kommt bei Stelzhammer die Liebe nicht zu kurz. Sie ist, wie er selbst sagt, sein wichtigster Antrieb für alles (…) Nur in der Liebe ist die Freiheit auch / Und ohne Liebe ist da nur der Tod / Die Kälte und ein leeres Rettungsboot / Kein Feuer mehr und nicht einmal mehr Rauch. und die Liebe hat für ihn viele Gesichter und Formen und Zeiten (…) Wenn die Liebe alt ist / und zärtlich und leuchtet / drehen sich die Jungen eifersüchtig nach ihr um (…) und (…) Die Liebe / fragt nicht was sie darf / sie tut es / Die Liebe ist in / jedem Falle scharf / und Freundin dunklen, roten / frischen Blutes (…). Aber auch wenn sie einmal zu fest zugebissen hat, scheint es für ihn noch Tröstliches zu geben (…) Doch unerhofft kommt sie wieder / Und streift mich mit ihrem Gefieder / wenn ich unglücklich bin

Die Liebe, die große Liebe, die unaussprechlich abgelutschte, abgedroschene, bis zum Überdruss besungene Liebe, wer (wen) verfolgt sie nicht? Auch Stelzhammer tut es, unermüdlich, unverbesserlich, unbelehrbar. Er sucht und singt und findet sie so vielleicht auf seine Weise. Auch noch auf dem Flohmarkt Auf dem Flohmarkt / kaufe ich eine ewig / blühende Rose / und ein unzerstörbares Herz aus / Porzellan / und Schneekristalle / und einen blauen Winterhimmel / und eine gut erhaltene / Hoffnung auf Frühling / und Liebe / eine Sonne / und einen Spiegel / mit dem unauslöschlichen / Bild von Dir.
Dichter haben bekanntlich kein Geld, nagen am Hungertuch. Dichten ist eine brotlose Kunst. Uiii Jeee – schon wieder ein Klischee! Nein, Tatsache. Tatsache aber auch, dass er sich am Rand wohlfühlen kann, oder überhaupt fühlen. Ist das in unserer hektischen, egoistischen, schnelllebigen traurig und einsam machenden Zeit nicht ein beinahe unbezahlbarer Luxus geworden. Der Einzige den man/frau sich um Himmels willen wirklich leisten sollte, weil er üerlebenswichtig ist. Hedonismus in vollen Zügen. Gratis. Weit wichtiger als jedes Penthouse und jedes Pöstchen. Am Rand der Schlachten / abseits des verzischenden Ruhmes / des vergänglichen Besitzes / im Hinterhof der geltenden Zeit / des zeitigen Geldes / blinzle ich in die / Sonne und / spür mein Herz schlagen / reich an Hunger / und Durst / wach und offen / im Lichthof zwischen / den Warenbergen.(…)

Aus Tiefsinnigem und Nachdenklichem soll offenbar nicht zuviel des Guten werden und deshalb wird zwischendrin immer wieder einmal auch etwas heiteres serviert, etwa wenn Kater Rudolf, zwecks Traumdeutung, zu einem Mäusepsychiater geht, der ihm einredet, dass seine Albträume in denen er von Mäusemeuten gefressen wird, völlig normal seien und dass Kater durchaus keine Mäuse fressen. Niemals. (…) Zum Mäusefreund manipuliert / ist Rudolf seither ganz verwirrt / Moral: Such Dir als Traumberater / doch lieber einen „Psychikater“

Ja, dieser Leseabend ist durchaus auch für kleinere Kinder gedacht (…) Wenn das Buch zur Schule geht / will es, dass die Kinder lesen / was darin geschrieben steht / was der Hahn vom Kirchturm kräht / wohin der Wind die Blätter wht / warum sich die Erde dreht / und reiten Hexen wirklich auf Besen

Das Leben bebt

Freilich konnten so bedeutende Fragen wie diese, ebenso wie viele andere, weit weniger wichtige auch, an diesem Abend nicht ausreichend beantwortet werden. Dafür wurden jede Menge neue gestellt. Brennende, aktuelle Fragen, darunter auch die, die aus den brennenden Banlieus von Paris erst kürzlich unauslöschlich emporschlugen und auf die wir, allen voran unsere „Regierungsfeuerwehren“ dringend Antworten finden sollten, wenn das friedliche Zusammenleben in und mit Europa weiterhin möglich sein soll. (…) Junge aus der Vorstadt was ist los mit dir? / Du führst dich auf und / sie hetzen dich wie ein wildes Tier / Zwischen allen falschen Fronten / Zwischen Vorhut und Spalier / bist du auch ein Stück von mir / jetzt und hier (…) Du sitzt in unseren Parks, unbeachtet / ohne Arbeit, voll entmachtet / Keiner streift an dich je an / Rüttelst an Europas Toren / sitzt im Zentrum schon verloren / Wünschst du wärest nie geboren / blinder Passagier, erfroren / kommst im Wohlstandsland du an / Kommst du nirgends an (…) Das Problem ist sichtbar geworden / an den Zäunen Europas, im Zentrum / Ausländerhäuser brannten wenig vorher / Schon vergessen? / Das Maß ist voll, maßvolles Teilen ist angesagt / Autos und Energie / Überfluss und Verschmutzung / Faschismus der Gleichgültigkeit / Kriege, Tsunamis, Hurricans, Seuchen / Aids, Erdbeben, Vogelpest / Faschismus der Gleichgültigkeit / Bebendes Leben / Versunken in unser Ego – das Leben bebt!
Das Leben bebt / die Welle frisst / der Wind zerstört / Der Mensch vergisst /
was er begräbt / bleibt unerhört
Die Luft verschmutzt / das Wasser schwindet / das Öl versiegt / Der Mensch erfindet / nur was ihm nutzt / und ihn besiegt.
Es ist jetzt Zeit / die Zeit wird knapp / sich zu besinnen / Kurs auf das Kap / Mitmenschlichkeit / Aufstand von Innen!


Mit diesem dringlichen Appell, der leider nicht so schnell als Headlines in einer Tageszeitung erscheinen wird, geschweige denn im ORF und nachstehendem „Mystischen Wunsch“ endete die Lesung Die reine Schale meines Herzens / neige ich dem Dreck der Straße / setze sie dir an die Lippen – trink, du Tier aus dieser Tränke / du gehetztes, namenloses, aus den Äsungen des Dunklen / in den Schein der Zeit getreten (…) Schreib mir nicht, du Unbekannte / mit dem Blut an deinen Fingern / Worte, die die Nacht diktierte / an die hoffnungslose Stirne / Trinke, doch ertrinke nicht.

Zwanzig Jahre, geballt in einer intensiven, „heissen“ Stunde. Dichter und Musiker wurden mit nachhaltigem Applaus belohnt, das Publikum mit dem Entlass in einen wunderschönen, kühlen Döblinger Juniabend, wo das eben Gehörte, für manche vielleicht Verstörende, ergänzt, gelobt und kritisiert, mit eigenen Kommentaren und angeregten Diskussionen versehen, bei Prosecco, Bier, Wein, Mineral und Trzniewski-Brötchen gebührend nachhallen und ausklingen konnte. Der Dichter war minutenlang in einer Welle von Signierungswütigen verschwunden und vermutlich ebenso wie Verleger Dr. Clauss und Gastgeberin und Veranstalterin Joy Antoni mit der gelungenen Veranstaltung zufrieden. In der allgemeinen Ausgelassenheit holten sich einige unermüdliche und unersättliche ZuhörerInnen noch ihren kleinen Nachschlag an Gedichten. Aus dieser Zugabe bleibe ein 1. Mai – Aufruf - den der SPÖ-Chef, laut Auskunft des Autors nur deshalb nicht am Rathausplatz hatte halten können, weil der „Ghostwriter“ bedauerlicherweise den Tag der Arbeit verschlafen hatte – der interessierten Nachwelt nicht vorenthalten. Wer weiss ob sonst die ganze leidige Geschichte nicht schon längst einen ganz anderen Verlauf genommen hätte.
Aufruf zum 1. Mai: Etwas weniger fressen / Etwas weniger besessen kaufen / Etwas mehr das Eigene vergessen / Nicht mit- selbstständig laufen!
Aufs Tabula Rasa nicht warten / Skandale selber aufdecken / Penthouse und Privilegiengarten / Öffnen, nicht ängstlich verstecken!
Supergagen verschenken / Breitarsch vom Machtsessel heben / Aufhören zu lenken – denken / Kampfgeist wiederbeleben!
Globalisierung hinterfragen / Gewerkschaftsarbeit machen / Widerstand wagen / Weltweit entfachen!
Wirtschaft demokratisieren / Gerechtigkeit schaffen / Dafür, ihr Affen / Lohnts zu demonstrieren.


Am Schluss war alles klar

Keine Angst, es blieb bei einer gut besuchten Lesung. Niemand demonstrierte. Die einzige Demonstration war die der allgemeinen guten Laune. Außerdem demonstrierten in allen Lokalen der Welt ab 21 Uhr auf Großleinwänden Fußballer ihre Fußballkunst-stücke. Und das wars auch schon, von wegen Demonstration. Wäre ja noch schöner. Es wurde Zeit zu gehen, mit der Zeit. Die Poesie hatte ihr Stündchen gehabt. Ihr Sternstündchen. Nun war sie wieder bereit zur Normalisierung, brav den Platz einzunehmen, der ihr zusteht. Aus der Traum von Poesie an der Macht. Ganz wie im richtigen Leben, wo die Lyrik ihr Stiefmütterchendasein in den hintersten Regalen der Unterhaltunggsliteratur – und Romankonsummaschinerie fristet, meist bleichwangig und mondsüchtig, ganz wie die Zivilgesellschaft und die Demokratie, etwas angestaubt und kaum vorhanden. Doch bisweilen tritt Arlequino auf die Straße, mit oder ohne Colombine, mit oder ohne Mandoline, mit oder ohne Gondel, aber immer mitten unter die Pierrots, mitten unter die Leute und singt und rüttelt und wiegelt auf zu einem Aufstand der Herzlichkeit, der Vernunft, der Liebe und der Schönheit, gegen die Windmühlen, für ein poetisches Leben eben. Wie schreibt Stelzhammer in der Ergänzung seines Lebenslaufes Straßenkomödiantisch und marktschreierisch: Bin geboren in Simmering / Wo mein Lebnslauf anfing / 68 wurd ich munter / Kam von der Welle niemals runter / Zwischendurch in Frankreich war ich / Schön wars, heiss und ziemlich haarig / Schrieb Musiktheaterstücke / Gedichte, Lieder und Pamphlete / Hatte alles außer Knete / Dann zurück zur Waldheimzeit / Machte ich in Wien mich breit / Gründete ein Stadtteilzentrum / Trieb mich zivilgesellschaftlich rum / Nicht, dass das schon alles wäre / Ich erfand auch Lichtermeere / Trat für freie Radios ein / Ließ das Dichten niemals sein / Seit 2000 Wendeschande / Bin ich bös aufs Vaterlande / Akzeptier nicht die Regierung / Lehne ab Normalisierung / Doch seit alle resignieren / Donnerstags nicht mehr marschieren / Wird auch mein Gemüte schlichte / Und ich schreib nur mehr Gedichte / Dieses ist mein Lebenslauf / Und nun lieber Leser kauf!

Aha, so ist das also. Von wegen. Keine Spur mehr von romantischer Träumerei, wie in dem Gedicht, das dem Band seinen Titel gab und wo es so blauäugig und harmlos heißt: Wenn Venedig in Simmering wär und der Mond und die Sterne wären ganz nah (…) und: (…) Ach, wenn Simmering einmal Venedig wäre / Alle Hoffnungslosigkeit wäre Tanz (…) Statt dessen: (…) Und jetzt lieber Leser kauf! Nicht nur politisch unkorrekt, weil die feminine Form dem Reimzwang geopfert wurde, nein, offene, scham-lose, beinharte Geschäftemacherei

Jetzt endlich war mir klar warum heute Abend „Venedig in Simmering“ in Döbling zu Gast war und es fiel mir wie Schuppen von den Augen und ich hörte auf einmal ein lautes und deutliches „Blop“. Natürlich, das war es – um reich zu werden! Bloß so

20.6.06

Gedichte in Buchform


Willi Stelzhammer,
Venedig in Simmering, Gedichte und Lieder
ISBN 3-9502043-1-8, 116 Seiten, Format 20 x 12,5 cm, 11,– Euro


Der Gedichtband ist ab sofort im Buchhandel erhältlich oder kann beim Verlag direkt bestellt werden (versandkostenfrei).

Im Buch sind vier Zeichnungen von Hüseyin Isik, von dem auch die Umschlaggrafik stammt.

Die Buchpräsentation findet statt am 22. Juni um 19 Uhr in der Buchhandlung „erlesenes“
Weinberggasse 17, 1190 Wien.

1.6.06

poetisch und politisch unkorrektes, schweinisches

31. Mai 2006

Danke, liebes Zensorenschwein

In Düsseldorf da sitzen deutsche Fritzen
Und schänden den Kadaver Heinrich Heines
Indem sie "schorf" die schorfigen Lippen spitzen
In der Manie des feigen Spießerschweines
Das vorsichtig und selbstgefällig in sich ruht
Und sich an allem Freien, Wilden gütlich tut
Weil es ihn abgrundtief in seiner Seele kränkt
Wenn jemand ungezähmt und frei, mündig von selber denkt
Und sich dem vorgefassten Einheitsbrei verwehrt.
Dichter, lebendig oder tot werden vom Schwein verzehrt
und nicht mit einem Heine-Preis geehrt.
Doch das, Zensorenschwein, ich bitte um Verzeihung,
Ist doch die allerbeste Preisverleihung
Für Heine und für Handke
Darum - Danke!

9.5.06

Im Mai

Was für ein Mai.
Gelassenheit
und blaue Flöckchen
zeitloser Zeit,
aus Sonne, Lächeln, Heiterkeit,
in linden Tupfen, weit gestreut.
Unkenntlich das Jahr,
vergessen die Kälte,
dass Winter war.
Es wehen die Zelte.

Ein Nachmittagsschlendern
in Paradiesen.
Der Tod hält sich still
in den Schatten verborgen.
Ich mach was ich will,
ich hab keine Sorgen
Mutter ist da, ich fühl mich geborgen.

Der Friede ist echt, der die Strassen füllt
Ein Stimmengewirr in vielen Sprachen.
Entblößte Junge. Das Menschengeschlecht
blüht unverhüllt und füllt sich die Lunge
mit Mai und Langsamkeit, und das Herz
mit Gänsehaut und Ewigkeit, mit Flieder,
Schleckeis auf der Zunge und Liebe und Lieder.
Selbstgerecht schreibe ich alles nieder

Im Mai, wenn Babys
aus den Büschen fallen,
im Hinterhof schlägern Nachtigallen
Und auch die Alten, mit energischem Schritt,
haschend nach einem Zipfelchen Glück, laufen mit,
raufen mit. Es riecht nach Würstelbuden
und nach Donaustrom,
nach Sommerferien und doppelt Lohn.
Die Politik liegt außen vor,
geht uns am Arsch vorbei.
Da sind wir auch alleine zwei,
im Mai.

4.5.06

1. Mai Aufruf

Was Gusenbauer nicht sagte, weil sein Ghostwriter zu spät zum Maiaufmarsch kam:


Etwas weniger gierig fressen
Etwas weniger besessen kaufen
Etwas mehr das Eigene vergessen
Nicht mit-, selbstständig laufen!

Auf`s Tabula Rasa nicht warten
Skandale selber aufdecken
Penthouse und Privilegiengarten
Öffnen, nicht ängstlich verstecken!

Supergagen verschenken
Breitarsch vom Machtsessel heben
Aufhören zu lenken, - denken
Kampfgeist wiederbeleben!

Globalisierung hinterfragen
Gewerkschaftsarbeit machen
Widerstand wagen
Weltweit entfachen!

Wirtschaft demokratisieren
Gerechtigkeit schaffen
Dafür, ihr Affen
Lohnt`s zu demonstrieren!

Beschluss

Der Nachrufe müde habe ich beschlossen
nunmehr vorlaut zu sein

3.5.06

Blüte im Wind

Für Christa Scheuer

Wind, pflück mir vom Zweig die Blüten
Jahre ohne Widerkehr
Tage, Städte, Menschen leer
Nichts bleibt mehr nach deinem Wüten

Grad noch Wangen Purpur blühen
Funkelauges Funkenglanz
Schneit der Schneide Totentanz
Mitten durch Lebensbemühen

Als ob Herzens Flügel schlügen
Lippenloser Kuss verfliegt
Schale Schönheit, unbesiegt
In Erinnerungs letzten Zügen

Soviel Herz, sowenig Dauer
Soviel Wärme, die erlischt
All der fallenden Blüten Gischt
Wogt im Ozean der Trauer

Wogend, immer gleich bewegend
Sturmgepeitscht, doch ungerührt
Lebt nur wer den Tod verspürt
Trotzdem sich zum Leben regend

Grüße euch, Entschwundene alle
Blüten, die ins Nichts verregnen
Weiss, wir werden uns begegnen
Und nun Blüte, falle, falle!

Willi Stelzhammer

28.4.06

Gefühl

Mein Stern verblasst, das Leben flieht
Dorthin wo meine Mutter ist
Ganz ohne Hast verklingt mein Lied
Hör zu, bevor du es vergisst

So wichtig war mir mancherlei
Das jetzt verblasst wie Tageslicht
Der Sterne Schar eilt schnell herbei
Zu einem Traum- und Nachtgedicht

Nicht bitter mach mich, Welle Zeit
Die mich umspült und an mir reisst
Was kommt, ich lach, noch ist es weit
Das Ende, das mich schon umkreist


Dieses Gedicht schrieb ich heute nachmittag. Zwei Stunden später musste ich mich von Christa Scheuer verabschieden, die im AKH an den Folgen ihrer Herzoperationen verstorben war.

21.4.06

Alltägliche Iliade

19. April 2006

Jeder ist Odysseus und Penelopee
Jeder stach einmal in unbekannte See
Jeder wird erwartet,jeder wartet auch
Und ganz unerwartet blüht ein Rosenstrauch
Singen die Sirenen, locken heisse Tränen
Und verfliegt das Glück zurückzukehren
wie Rauch

Jeder ist Odysseus und Penelopee
Zwischen Herd und Bogen, zwischen Lust und Weh
Zwischen Ankunft wollen, sich nach Neuem sehnen
Glücklich sein verschollen, zu Hause sein mit Gähnen

Jeder ist Odysseus und Penelopee
Listenreich, beharrlich, duldend, unerschrocken
Tötet er die Freier, stopft sie ihm die Socken
Jeder ist Odysseus und Penelopee
Jeder liebt den Sommer, jeder liebt den Schnee


Sage ich nicht jede, hat das seinen Grund
ließe sich nicht reimen, drum halte den Mund
Jede ist in jedem Falle mit dabei
Sagen wir doch -alle-
sächlich, männlich, weiblich
sind stets ihrer drei

Alle sind Odysseus und Penelopee
streiten, lieben, sterben,
so geht das seit je

16.4.06

Zwischenwelt
Abends, allein im Antiquariat


Mottenkugelduft aus alten Schränken
längst vergangener Welten,
die, wenn die Dämmerung hereinbricht,
neu sich rüsten
- Ambra und Moder, Tang und Pergament-
Edelhölzer unbekannter Küsten
Verwunschene Boudoirs mit mondbeschienenen Brüsten
Aschenland, das so kein anderer kennt

Abends das Antiquariat betreten,
Schmerz und Unruh in ihm versenken
ist für mich als würde ich beten,
als träte ich in üppige Büchergärten
verhallter Träume, erloschener Reiche
ließe draußen vor der Türe die Härten,
nähme nur das Weiche
mit über die Schwelle.

Stille um mich, unhörbares Weinen
Hinter der Scheibe - Abendscheinen
Im Dunkeln lasse ich mich der Helle
allem Verschwundenen Geselle

14.4.06

Ich weiss nicht was

Es duftet der Frühling
wie ein offener Schoß
Nach Regen und Knospen
Die Erde liegt bloß
Nach Sterben und Werden
Nach Kommen und Gehen
Nach dunklen Gebärden
Nach Nichts bleibt bestehen

Es duftet der Frühling
nach Nacht und nach Licht
nach versunkenen Städten
Nach Glück das zerbricht
nach Rinnsal, nach Dampfen
nach Hufen, die stampfen
ein Ruck-Zuck-Gedicht

Es duftet der Frühling
nach Kloake und Glocke
zerplatzenden Träumen
und Ankunft im Gras
April brüllt und zaubert
Stern , Blüte und Flocke
den Bäumen ins Haar

Es duftet der Frühling
nach ich weiss nicht was

12.4.06

Aprilschnee

Es wäre schön an die Auferstehung zu glauben
An den Glückbringenden Regenbogen
Und die Unschuld der Tauben
An die Kraft der Liebe, die Berge versetzt
An die Süße der Trauben
An das Wort, das heilt, nicht verletzt
An den Fuchs der die Gans zurückbringt

Und es schneit im April
Und Mutter ist nicht mehr da
Doch das Leben hält nicht still
Und der Schmerz ist noch lang nicht verflogen
Wie der Schnee im April

8.4.06

Kommentar der anderen Art/Frühlings- und Ostergruße

Hier ein Mail an Mischa Jäger vom Standard. Ein Schnellschuss über dessen Nichtveröffentlichung ich nicht böse bin, aber dass nicht einmal ein Antwortmail kam fand ich nun doch unhöflich. Vielleicht wars ihm zu unpolitisch? Zu scharf kanns nicht gewesen sein, auch nicht persönlich beleidigend, wie z.B das

Rauschernde Gebetsmühlenliedchen

Es rauschert so leise die Mühle am Bach
Schwach, schwach
Und hat auch die Republik Feuer am Dach
Ach, ach
Lieber schmeichelt die Feder bei den Grünen sich ein
Er will auch beim Bauchnabel Aufdecker sein
Aber bitte nicht bei sein,
aber bitte nicht bei sein!

Es bauschert die Hose beim Senior sich
Kurz kurz
es rauschert der Wind der ihr hinten entwich
furz furz
zum Glück schreibt die Feder keck, furchtlos und frei
wie schrecklich die Kurzhosenmode jetzt sei
nicht die Asylrechtschweinerei
her mit der Hosenpolizei

das ich in vorauseilender Selbstzensur wohlweislich unterdrückte. Der Standard hat halt offenbar so seine kumpelhaften "A-Fian-itäten" und die soll man ihm auch ruhig lassen. Euch aber soll mein Frühlingserguss nicht entgehen. Fröhliche Ostern!

Sehr geehrter Herr Jäger
Hier ein Vorschlag für einen Kommentar der Anderen

27. März 2006

Am Rande des Abgrunds – der Frühling
Mein Österreichbild


Wien atmet wieder im Frühling. Erschöpft und mitgenommen haben die Menschen den Winter verlassen. Woher kommen die alle, in welchen Kisten und Kartons haben sie die letzten Monate zugebracht? Nackte Schultern, entblößte Bäuche blitzen auf im Passantenstrom. Schon ist es zu heiß unter dem Sakko, schon herrscht Urlaubsstimmung mit Eis am Stiel und Tropical Coctail. Der Gewerkschaftsboss ist zurückgetreten, Saddam tanzt Boogie-Woogie mit dem Sonder-richter, Milosevic ist als blutiger Osterhase auferstanden, meine Mutter ist vor zwei Wochen gestorben. Wen kümmert das? Der Feinstaub flimmert golden (oder bilde ich mir das nur ein), in den Bronchien brechen die Krokusse durch, die Kostümmozarts der Wiener Fremdenverkehrswerbung verlieren Perrücken und Contenence, bunte Motorradpferde (todbringende) werden stolz von Übergewichtigen am Zügel vorgeführt. Die Autofahrer verwechseln das Gaspedal mit der Hupe, schöne Cabriofahrerinnen führen gestenreiche Selbstgespräche mit der unsichtbaren Freisprecheinrichtung. Der Asphalt und das Pflaster decken mühsam, aber
erfolgreich die sich aufbäumenden Graswurzeln ab.

Unbeschreiblicher Stadtfrühling, dass du überhaupt Stadt- findest ist erstaunlich, nach so langer Ab-verwesend-heit. Erstaunlich all das Leben ringsum, das den ganzen langen Winter abgetaucht war, in Vergessenheit geraten. Der Frühling ist eine ansteckende Krankheit, anders als die vieldiskutierte Vogelgrippe, eine ersehnte Pandemie. Er steckt alle Alters- und Gesellschhaftsklassen an. Der Frühling ist ein
klassenloser Gratishaupttreffer in der Klasselotterie für jede und jeden.
Die Krückstöcke knospen, die Glatzköpfe flaumen, Lächeln zeichnen sich ab, Falten entspannen sich, Kontakte entspinnen sich, Gestelle jeder Art enthüllen sich. Alles was Flügeln hat, steht – auch die gefallenen Engel stehen wieder königskerzengerade. Auch in den Krankenhäusern und Hospizen ist, was noch am Leben ist, sonnenbeschie-nen. Die Friedhöfe erwachen zum Leben, ebenso wie die Bordelle. In den Stein- Straßen und Plätzen entwickeln sich allerlei Beziehungs- und Kurzweilgeflechte, verwurzeln sich in den Schanigärten und Kaffehausterrassen, vertreiben Trauermoos, Griesgramfilz,Inter-spinnen-netze und Langweilnebel der kurzen Wintertage.
Wieder ein Jahresring mehr unter den Augen. Zynismus ist gerade noch kein rezept-pflichtiges Medikament geworden. In der Innenstadt sprießen Trostpflastersteine unter augenweidenden Touristen und in den Geldbörsen werden die Euro zu vierblättri-gen Kleeblättern mit denen man/frau sich allerdings keine „luckerte“ Krone kaufen kann. Heller heißt die Währung im Frühling und sie wird gratis verteilt , in den „Anker“ plätzen, Würstelbuden und BAWAG-Filialen.

Hand aufs Herz, wen kümmern am ersten richtigen Frühlingstag Novemberwahlen, blaue Orangen, Vogel- und Gusenbauer, alte Hüte und Schüssel und die EU-Ratspräsi-Tant-schaft. Nicht einmal zweisprachige „Proporztafeln“ mit oder ohne Schildbürgerstaats-streich können uns imponieren oder hinter den schüchternen Primeln hervorlocken. Nicht einmal ein weises staatsoberhäuptliches Lächeln aus den Schuhen des Fischers weiß schwerer zu wiegen als ein Büschlein Himmelsschlüsselchen.
Die Politik hat das Primat über die Wirtschaft verloren geht die Saga, nicht erst seit Gugging. Narretei. Der Frühling übt sein Diktat aus über beide und alles.
Frühling, Frühling über alles…! Gott (oder Pröll) schütze uns vor dem nächsten Winter!

Willi Stelzhammer
Nachruf und Gedichte für meine Mutter Elli, die am 9. März dieses Jahres verstorben ist und jetzt, am 13. April 74 Jahre alt geworden wäre


„Elli“
Eleonora Stelzhammer
geborene Paukert


FOTO KOMMT NOCH






Danke, dass ihr alle heute zur Verabschiedung von meiner Mutter gekommen seid. Meine Mutter hat Musik geliebt. Auch das Tanzen, Begegnungen, Geselligkeit, Feste, ihre Familie, ihre Freundinnen und Freunde und vor allem Kinder.

Schmerz und Trauer sind höchst individuelle Vorgänge. Als mein Vater 1982 mit 56 Jahren so jung verstarb, konnte ich auf seinem Begräbnis kein Wort hervorbringen. Das entsprach zwar meinem Schock und unserer Stimmung, aber die Sprachlosigkeit war schrecklich zu ertragen, auch für meine Mutter.

Heute, älter und naturgemäß weniger radikal, weiss ich, dass es immer noch keinen Trost gibt für das Unakzeptable das jeder Tod darstellt, aber ich will versuchen durch meine Emotion, also sehr subjektiv und unvollständig, etwas von der Persönlichkeit und dem Wesen meiner Mutter, dem Menschen der sie war, erfahrbar zu machen.

Diese Mitteilung ist nur zu ergänzungsbedürftig, denn jede, jeder hat Elli, meine Mutter auf seine Art gekannt, erlebt, gemocht und geliebt. Ich darf euch meine mitteilen, in Form eines Textes, den ich einen Tag vor ihrem Tod geschrieben habe und eines Gedichts nach der letzten Begegnung mit ihr, nach ihrem Tod, der sie am Donnerstag, den 9. März, um 5 Uhr früh, wie die Ärzte mir versicherten, im Schlaf überrascht hat.



Ungewusster Abschiedsbrief


Geschrieben am Internationalen Frauentag, dem 8. März 2006,
dem Tag nach dem (letzten) Besuch bei meiner Mutter.

Mutter, wohin gehst Du? In Deinen Augen die große Müdigkeit. Nein, sagst Du, deprimiert bin ich nicht -, aber so müde wie noch nie. Wie noch nie zuvor. Tapfer trägst Du Dein Marty-
rium seit langem. Die höllischen Schmerzen im Rücken, in den Händen. Deine Herzlichkeit, Deine alles umschließende Liebe. Und alles verzeihende.
Herzkrank seit der Kindheit. Herzkrank von den Bombennächten im kalten Keller, von den Ängsten um Eltern und Geschwister. Der Vater, Februarkämpfer des Schutzbunds, illegaler Kommunist dann, die Mutter allein mit fünf Kindern. Du, Fröhliche, mit Deiner ernsteren Schwester Erika, setztest Dich immer gegen alle Ungerechtigkeiten ein, für die Ärmeren, Schwächeren, Hilfsbedürftigen.
Theaterspielen an den Klopfstangen. Die NachbarInnen schmissen euch Groschen von den Fenstern zu. Das „sich kümmern“ um den Behinderten mit dem „Wasserkopf“, „sich prügeln“ mit den größeren Buben, die Deine Schwester verspotteten. Du wurdest vom Schwimmen und vom Turnunterricht befreit wegen Deines Herzfehlers und dadurch bist Du, die jung und sportlich war und überschäumend, unsportlich geworden. Dein Vater, den Du liebtest, ließ Dich nicht Kindergärtnerin lernen, weil Du da „außer Haus“ hättest schlafen müssen, während der Ausbildung. Du warst ihm dennoch nicht böse. Fesch warst Du und so engagiert für eine bessere, gerechtere Welt, ohne Krieg und Ungerechtigkeit. Du hast soviel gelacht und gesungen, an eine gute Zukunft geglaubt. Im Chor von Siemens, wo Du arbeitetest, nach dem Krieg, hast Du meinen Vater kennen gelernt, den jungen, feschen, ernsten und ruhigen Burschen mit den verträumten Augen, Sportler, gewellte Haare, Angestellter, - ein bisschen aus einer anderen, nicht so proletarischen Welt.
Er fand Dich und Deine große, bunte, laute, warmherzige Familie. Ihr habt euch geliebt, geheiratet, mich gekriegt. Euer Ein und Alles. Die ersten drei Jahre in der engen Wohnung im Strindbergbau, im hintersten Kabinett – dann Umzug nach dem Schöpfwerk, Hausmeister-posten. Meine Volksschuljahre am Khleslplatz und schließlich meine Pubertät im stillen, allzustillen Hetzendorf, meine Zeit im „Elite-Knaben-Gymnasium“ Rosasgasse, der Schulab-bruch 1968, mein Auszug aus eurer elterlichen, „zu engen“ Obhut, mein politisches Engagement – erst Spartakus, dann Longo mai…
Du bist schon mehr drüben als hier, Mutter, bei den anderen, an die Du jeden Tag, jede Stunde denkst, mit denen Du lebst, mehr schon als mit mir oder Deinen Enkelkindern.
Tapfer warst Du und bist Du auch jetzt, wo Du fast nichts mehr siehst. Die letzte Augenoperation nach der Glaskörperblutung hat Dir wenigstens etwas von Deinem Augen-licht zurückgegeben. Der Kalvarienweg durch die Spitäler der letzten Zeit hat Dich arg mitgenommen. „Jetzt könnte das schon ein bisserl aufhören“, sagst Du und dass Du nicht deprimiert oder resigniert bist, nur müde, so müde…Und Du bist wachsweiß, mit geröteten Augen und die Pupillen sind so weit weg wie grünes Schmelzwasser, aber trüber, wie durch Schlamm und Schmerzen getrübt.
Du hast keine Schmerzen, sagst Du, nur die „normalen“ im Rücken. Kleiner bist Du geworden, abgenommen hast Du, weiss ist Deine Haut und kalt sind Deine Hände. „Ich habe kalten Schweiß“, sagst Du „und ich krieg nicht genug Luft“. In Deinen Nasenlöchern stecken die Plastikschläuche des Sauerstoffgeräts. „So kann ich besser schlafen“, meinst Du. Nein, die Schwestern sind ganz in Ordnung. Nur mit einer Tschechin hast Du Dich kurz gestritten, weil die so unsanft war beim „Aufsetzen“. Und die Ärzte sind OK. Auch, dass es ein kirchliches Spital ist, stört Dich nicht. Du willst noch die nächste Untersuchung, Gastroskopie, Herzultraschall, hinter Dich bringen und dann, hoffentlich bald erholt, wieder zurück in Deinen Garten. Nein, auf Kur willst Du nicht, nicht mehr. Denn dort würdest Du ja wieder in der Krankenstation landen und davon hast Du genug.

Donnerstag, 9. März.
Acht Uhr fünfundvierzig. Mutter ist tot. Um Fünf Uhr früh ist sie gestorben, sagt mir ein Waschl vom Herz-Jesu-Krankenhaus.

Mutter, meine beste Freundin. Mein absolut sicherer Hafen. Mein Asyl, meine letzte Zuflucht. Ich lebe nun ohne Dich. Ich hoffe, Du hast nicht gelitten. Jetzt bist Du bei Ihnen, bei allen Deinen Lieben. Ich hoffe, Du hast gefühlt – ich bin bei Dir – und Du hast gewusst: Ich liebe Dich. Mutter – Auf Wiedersehen! Lass alle schön grüßen.

Dein Willi


Nachtrag:
Wir alle hier trauern um Dich. Allen voran Deine Enkelkinder und alle anderen Kinder, die für euch wie Enkelkinder waren, die mein Vater nur so kurz erleben konnte. Erwähnt sei auch noch die Zeit nach 1986 hier in Österreich, nach dem bitteren Exodus aus Longo mai, Deine unermüdliche Fürsorge und Pflege für Deine Mutter im Nachbargarten, die tiefe, innige Verbundenheit mit Deinen Brüdern und Schwägerinnen, Dein offenes Haus für Nachbarn und Freunde, dann die ewige Baustelle im Garten, Dein Einsatz, Dein Leben mit uns, mit Sibylle und Geneviève, mit allen Turbulenzen, Tiefen und Höhen, Deine unendliche Geduld und Dein tolerantes Verständnis, Deine Offenheit für Neues, Unorthodoxes, Dein Mitleben und Mitfiebern mit unseren politischen Aktivitäten, Deine Teilnahme am Stadtteilzentrum Simmering, Deine große, nie versiegende Geduld und Liebe. Du hast alles mit uns, mit mir mitgemacht, auch mein neues Leben und Lieben mit Joy und Lucian und mitgelebt und mitgeliebt und teilgehabt und geteilt soviel Du nur konntest; und warst, so schwach und krank Du warst, wichtiger und fast unmerklicher (nicht immer, manchmal konntest du auch sehr lautstark und streitbar sein) Ruhe-, Halt- und Angelpunkt, Bindeglied zur Vergangenheit, zwischen den Generationen und jetzt und das wird uns immer klarer, fehlst Du uns und es wird viel von uns verlangen diesen Verlust zu ertragen und Dich in uns lebendig zu halten, deine Liebe, Freundlichkeit, Fröhlichkeit, deinen Optimismus weiterzuleben und weiterzuge-ben. Ich werds versuchen. Wir werden es versuchen. Mutter, Großmutter, Urgroßmutter, Schwägerin, Freundin, Nachbarin, politische Aktivistin, Bürgerin, Frau, Kind, Elli –

Danke für alles und leb wohl.




Der Morgen nach Mutters Tod


Graue Wolken ziehn im Fenster
Winterhimmel, Welt ist leer
In mir Trauer und Gespenster
Meine Mutter ist nicht mehr

Soviel Tage grüner Gärten
Lachen und Geborgenheit
Soviel Kraft der unbeschwerten,
unversehrten Kinderzeit

Alles hast Du mir verziehen
Mich gedrückt an Deine Brust
Deine Liebe mir geliehen
Immer Rat und Trost gewusst

Grenzenlos war Dein Vertrauen
Ich war Deines Lebens Sinn
Ach, ich kann es noch nicht glauben
Dass ich jetzt alleine bin

Meines Herzens Gartenplätze
Vater, Mutter, bleiben frei
Wo ich mich zu Tische setze
Sitzt ihr Beiden mit dabei

Zeit der Kirschen, große Runde
Alle, die verschwunden sind
Sind auf ewig mit im Bunde
Bin auf ewig euer Kind

Und ich weine und ich lache
Seid in meiner größten Liebe
Ob ich schlafe oder wache
Bleibt mir, wenn mir nichts mehr bliebe

Ihr seid meine Kraft und Stärke,
Mir auf ewig einverleibt
Mit dabei in jedem Werk
Und Wolke, die vorübertreibt




11. März 2006

Von der Seele geschrieben


Die Mutter ist gegangen
Und hat mich lassen stehen
Ich streichelte ihre Wangen
Versprach ihr ein Wiedersehen

Dort wo keine Schmerzen wir haben
Alle Menschen sind freundlich und gleich
Alle Zwietracht und Streit sind begraben
Alle sind dort von Liebe so reich

Sahst aus Deinem Mantel von Leinen
Skeptischen Auges mich trotzig an
Deinen ewig träumenden Kleinen
Der die Wahrheit nicht fassen kann

Und ich streichelte Deine Wangen
Dein widerspenstiges Haar
Und Du sagtest – ich bin nicht gegangen
Und – gut war alles was war

Ja, dort werde ich haben gefunden
Was ich hier so sehnlich entbehrte
Ja, dort schließen sich alle Wunden
Und der Schmerz der mich verzehrte

Wird zur Freude – dort finde ich sie wieder
Meinen Willi, Fredl, Ferdinand, Erika, Franz,
Vater, Mutter – beug dich zu mir nieder
Nimmermüde sind dort meine Glieder
Ewig jung steh ich auf dort zum Tanz

Ich streichelte sanft ihre Wangen
Und schloss das Auge ihr zu
So schnell ist die Zeit vergangen
Dann bin ich nach Draußen gegangen
In Unruh und ließ sie in Ruh.



12. März 2005

Nichts ist aus

Drei Nächte bist Du tot.
Ausgelebt, ausgekämpft, aus-gelacht und aus-geatmet

Hab geträumt ich hätte Hand gelegt
an die große Wurzel eines Baumes,
der doch nicht und nicht zu fällen war.
Nur die Wunde meiner wilden Schläge
klaffte in dem dick verwachsenen
Riesenstamm – lachte über mein
vergebliches Treiben.

Nie werd ich es schaffen ihn zu Fall
zu bringen. Wenn er fiele, würde
er begraben unter sich das Haus,
das er bedachte und beschirmte,
dem er sich entgegenlehnte - und er
lachte über meine Schläge, die
verpufften.

Ausgelebt, ausgekämpft, aus-gelacht und aus-geatmet

Alle Blumen, die ich Dir nicht brachte,
Alle Nachmittage, die vergingen
Alle Nächte, alle Stunden, bettklamm
und alleine
Ungeschönt – Entsetzen – wie entsetzlich
packst du mich und würgst mich wie du sie
allzu oft und eisig angefasst hast, haben musst,
in der Kammer und am Tisch, gebückt,
die Gehhilfe benützend, in dem
Fernsehsessel, wenn sie wartete und wartete

Schluchzend saß sie klein vor meines
Vaters Grab unterm Friedhofshimmel
mit der Birke
Ihre tauben Hände hielt ich allzu selten

Ausgelebt, ausgekämpft, aus-gelacht, aus-geatmet

Es gelingt mir nicht den Riesenbaum
zu fällen – ich wache auf und
draußen rüttelt Frühlingsschneesturm
am Balkon und scheucht die Hasen auf.
Ungeschönt vertreibt der Tod das Leben
Doch die Schönheit lebt und wächst und blüht
aufs Neue,
lebt und kämpft und lacht und atmet. Nichts ist aus.



12. Februar 2006

Sitzend am Sessel der Mutter

Du warst die Königin
Des Gebens
Und ich Dein Prinz im Nehmen
Du warst der Pfeiler meines Lebens
Des zu bequemen

Ich gab Dir nichts als meine Träume
Mein großes Sehnen
Du weintest, dass ich nichts versäume
Manch bittere Tränen

Du warst die Meisterin des Verzichts,
Der Einsamkeiten
Ich war Dein Sonntagskind des Lichts,
Der schönen Zeiten

Dein Schattenland, Dein Schmerzengarten,
Dein duldsames Dauern
Der Zeituhr Sand – wie Du – entschwand
Uns, die jetzt trauern




13. März 2006

Selbstmitleidige Selbstkritik

Du hast mich an Deiner Brust gewiegt
Als sei die Welt gut
Du hast gesagt – das Gute siegt
Nur wenn man es selber tut

Ich hab es versucht, es hat nicht gereicht
Ich war zu schwach und zu schlecht
Ich nahm das Leben viel zu leicht
Und war zu selbstgerecht

Du hast mir trotzdem verziehen, mich geliebt
Ich war ja Dein Fleisch und Blut
Ich hab mir das Gute herausgesiebt
Und lebte im Übermut

Du hieltst mich, mich wiegend, an Deiner Brust
Verschwindend schon, bis zum Schluss
Ach, Mutter, ich habe doch nicht gewusst
Wie bald ich Dich missen muss



16. März 2006

Abends in der Reihe Neun

Die Frühlingsvögel singen
Trotz Kälte und trotz Schnee
Was wird der Frühling bringen
Und ihre Stimmchen dringen
Durch Trauer und durch Weh

Die Zeit sie wird vergehen
Die Trauer bleibt bestehen
Die Sonne wird uns lachen
Nicht ungeschehen machen
Was ich nicht kann verstehen

Der Tod scheint nur zu siegen
Er kann uns niemals kriegen
Dorthin wohin wir fliegen
Wird Leben nie versiegen



17. März 2006

Nach dem Begräbnis

Frühling wirds
Das Haus verwaist
Sonne blinzelt aus den Wolken
Meine Mutter ist verreist
Fortgeflogen in die Wolken
Garten atmet frisch enteist

Sonne, Vögel, Licht und Schatten
Grad noch Tränen, weiß wie Schnee
März. Mein Herz, darfst nicht ermatten
Nichts bleibt stehen, vorwärts geh

Nichts vorüber was begonnen
Blau wird Himmel täglich neu
Bald wird Neues uns besonnen
Neue Schmerzen, neue Wonnen
Mutter bleibe, bleib uns treu


18. März 2006

Wie mir ist

Allein

Es ist, als würde alles jemanden anderen passieren
Es ist, als würde ich mitten im Sommer erfrieren
Es ist, als würde man das Herz mir amputieren
Als würde ich offenen Auges auf mein Ende zumarschieren



20. März 2006

Anruf bei Mutter

Mutter,
wenn ich mit Dir sprach
war es als würfe ich
Steinchen in den Spiegel
des Teiches, Meeres der
Vergangenheit

Steinchen, die auf immer
verloren waren, Brot, Nahrung
für die unten am
Grunde liegenden
Verschwundenen

Mit ihnen, zu ihnen
redete ich durch Dich
Du warst begeisterte
Vermittlerin zwischen
Heute und Gestern

Wenn ich Dich anrief,
abends, aus dem Bus,
oder wenn ich den Motor des
Wagens abgestellt hatte, oder
Bevor ich den Haustorschlüssel
ins Schloss steckte,
war das wie ein Atemholen,
sich zurücklehnen in der Zeit
ins Zeitlose, vom Rastlosen
zur Rast, zum innigen
Innehalten und dann
hatte ich Dich am anderen Ende
wie einen Glücksfisch und
nach dem - Hali-Halo Mutter,
wie geht’s – waren wir
verbunden. Ich weiß nicht
mehr was Du sagtest und was
ich sagte, aber das war auch
nicht so wichtig. Ich hörte
den Fernsehapparat im Hintergrund
oder den höllisch zwitschernden
Pipsi – oder Tante Hilde
war bei Dir – oft hattest
Du Schmerzen – aber schon
nach wenigen Sätzen war
Deine Stimme lebendiger und
das Lachen war nicht mehr
weit.
Jetzt bist Du auch unter den
Spiegel gesunken. Niemand
hebt mehr ab, wenn ich
anrufe. Du bist abgemeldet
am Standesamt. Jetzt erst bist
Du richtig gestorben. Nicht
mehr im Wählerverzeichnis,
gelöscht im Zentralcomputer,
nicht mehr interessant für den
Fiskus. Deine Telefonnummer
wird bald abgemeldet sein,
Deine Zimmer ausgeräumt,
Deine Kleider bei der
Volkshilfe, Dein Ramsch
und Dein Kitsch in Kisten
bei mir. Ich werde mit
Den Kindern einen Baum oder
Strauch pflanzen, im Garten,
neben dem Strauch von Onkel
Franz. Ich werde Deine
Fotos und Gedichte ins
weltweite Internet stellen.
Ich werde meine Tochter Elena
anrufen und Dich in Oleg
und Stano und Miria und Tania.
Ich werde Dich in mir selbst
anrufen – immer – jeden
Tag, jeden Abend, wenn
ich verzweifelt bin, nicht mehr
ein noch aus weiß, wenn ich
mich wieder einmal mit Joy
gestritten haben werde.
Ich werde Dich anrufen wenn ich
Angst habe und wenn ich
mich über irgendetwas wahnsinnig
freue, oder wenn ich eine
schwierige Entscheidung zu treffen habe.
Ich bin sicher – Du wirst immer
für mich erreichbar sein.

Paradox. Bald liegst Du in
der Urne bei meinem Vater, der
Sich nicht verbrennen lassen wollte.
Jetzt seid ihr zusammen,
gleichwie, gleich wo.
Übrigens, Du könntest mich
Auch einmal anrufen

Und nicht vergessen: Schöne
Grüsse an alle und -
Danke, ich werds ausrichten!


20. März und 23. März 2006

Von der Wiederkehr

Nie wieder werde ich hierher kommen zu Dir
Durch die Türe treten mit Hali-Halo
Und nie wieder seh ich diese Räume so
Wie sie waren als Du lebtest hier

Das Vergangene wird mit Weiße übertüncht, aus alt wird neu
Das ist gut so und das ist der Lauf der Welt
Dass sich neues Leben in den alten Wänden freu
Nichts ist wirklich neu unter dem Himmelszelt

Alles war schon da, alles kehrt wieder
Aber Du kehrst hierher nie wieder zurück
Doch, vielleicht, in einem unserer Lieder
Oder auch in einem neuen Glück


23. März 2006

Schönheit

Schönheit, du entsteigst den Küsten,
Ungeahnten, weiten Fernen
Längst verklungenen wilden Lüsten
Längst verloschenen Zaubersternen

Schönheit, du blühst wie die Blume
Mitten in den staubigsten Wüsten
Es verbergen in den Krumen
Bitterkeit sich oft die süß`sten
Augenblicke, duftverflogen
Oft auch aus dem Spiel der Wogen
Steigst du, gleißend, Tropfen sprühend
Und aus dampfenden Horizonten,
Schattenschluchten, nie besonnten
Aus dem Nichts, vor Liebe glühend

Schönheit, Schwesterchen des Todes
So beseelt und lächelnd schön
Traummomente lang verloht es
Wie ein Küsschen frischen Brotes
Wie Dein Lust- und Schmerzgestöhn



Selbstermutigung

Sich dem Schmerz überlassen
Wie prasselnde Scheite
Unfassbares fassen
Suchen, das Weite

In die Wellen sich stürzen
Unter den Hammer sich legen
Die Wunde streng würzen
Nichts wollen bewegen

Das Außen verachten
Das Innerste krönen
Fehler umnachten
Versäumtes verschönen

Von alledem keines
Und alles und mehr
Dein Unglück bewein es
Nicht allzu sehr

Bewein es, belach es
Beleb es, entfach es
Behüt es, bewach es
Dein Starkes, dein Schwaches

Und wein deine Träne ins Meer

Und dann gib was zu geben
Ist, deine Liebe, dein Leben
Denen die leben, her.



Inschrift

Immer zusammen
In Erde, in Flammen
Jetzt und Dereinst
In Wasser und Luft
In Klang und in Duft
In Strahlen, in Teilchen
Ein ewiges Weilchen
Hüben und Drüben
Droben, hinieden
Mutter,
Sonne,
Du scheinst



23. März 2006

Es zerreißt mir das Herz

Sie haben Dein Bett
abgeholt, Mutter, Dein
Krankenbett – Es
zerreißt mir mein Herz
Ich habe Deine Kleider
der Volkshilfe gebracht,
alle Deine Kleider,
die ich so gut kenne
Deine Festtagskleider
Das Türkisblaue,
die vielen, bunten,
kitschigen Kleider
Und es zerreißt mir das
Herz.

Ich ordne Deine Fotos
Deine Postkarten und Briefe
und es zerreißt mir das Herz
Die vielen kitschigen
Figürchen, im kleinen
Fenster neben Pipsi
Die Vasen, Weihnachts-
Kugeln, Glücksschweinchen,
Zündholzstiefelchen

Und erst die Küche…

Alles totes Geschirr
Deiner peniblen Unordnung
beraubt und der große
Tisch, immer Prospekte-
übersät, die Post, bunt
durchmischt – der ewige
Kampf mit den
Zahlscheinen und Rechnungen
Das Schlachtfeld, das
nur durch Tante Hildes
ordnende Hand halb-
wegs bewältig- und
durchschaubar war

Diese Unordnung blühte
durch Dich wie eine
Frühlingswiese
Und Du schautest über
den Brillenrand - Na, Ich
fühl mich gar noch nicht
wie siebzig – und wenn
Musik ertönte, kribbelte
es Dich in den Beinen

Die Sardellenbrötchen
Die saure Milch
Willst an Rollmops?
Nein, aber einen Striezel
und Kaffee und einen
Apfel - und ich streichelte
Deine Hände und Du
hattest Tränen in den
Augen – Diese Scheisshänd!
I hab überhaupt kein Gfühl
mehr, alles fliegt mir obe –
weil Dir schon wieder der
Löffel auf den Teppich
gefallen war.

Du kommandiertest Deine
Heimhilfen wie Napoleon – Du warst
ihnen nicht böse – konntest
selbst nur mehr so wenig
tun.

Es zerreißt mir das Herz.

Zum Glück kommt Oleg
und trinkt mit mir einen
Kaffee und isst ein
Croissant, das ich mitge
bracht habe.

7.4.06

Lieber Herr Klaus!
Besten Dank für die Einrichtung dieses für mich neuartigen Mediums, das es mir nun ermöglichen wird meine poetisch-politische Alltagshygiene auf die geneigte Umwelt loszulassen und nicht mehr in diverse Schubladen zu parken. Wobei es sich, wie ich fühle, nicht nur um Gedichte handeln wird, sondern sich gelegentlich auch manch bösartiger Kommentar zum Zeitgeschehen Luft machen wird. Also dann, beginnen wir harmlos:

7. April 06

Zwergs Zukunftsperspektive

Mein letztes Haus soll offen sein
Und alles in sich bergen
Den Wind, das
Meer, den Sonnenschein
Das Glück von sieben Zwergen

Die alle in mir drinnen sind
Manchmal zu Riesen werden
Mit bösen Drohgebärden
Und sind doch nur ein Kind

Der erste Zwerg spielt mit der Welt
Mit Blatt und Mond und Sternen
Tut immer nur was ihm gefällt
Und will nichts anderes lernen

Der zweite flieht, was immer auch
Sich in den Weg ihm stellt
Er zieht mit Wolken, Duft und Rauch
In eine Märchenwelt

Der dritte spielt und tollt so gern
Inmitten junger Böcke
Sucht Blüten, Schmetterling und Stern
Im Wald der Unterröcke

Der vierte hat sich übernommen
Baut sich ein Haus und läßt sich nieder
Hat Kinder, Garten, merkt beklommen
Das Zwergsein ist ihm doch zuwider

Zwerg Nummer fünf schnuppert das Weite
Die Jugend, Liebe, die befreite
Hat seinem Schicksal sich ergeben
Und führt auch nur ein Zwergenleben

Bis Nummer 6, er ganz alleine
befreit von der Familienleine
(Vater- und Mutterseelenalleine)
Schicksal erklimmt, wie einen Berg

Dort oben baut er nun sein Häuschen
So riesenschön für Siebenschläfer
Züchtet er Rosen, kost sein Mäuschen
Zählt Kleeblatt und Marienkäfer

Zu Hause ist er dort geblieben
Eben in jenem letzten Hause
Lang lebt er dort - Zwerg Nummer Sieben
In seiner offenen Lebensklause.

Hat auch noch manch Gedicht geschrieben
Und wartet auf die große Pause
Im Kreise aller seiner sieben
Zwerge und aller seiner Lieben

Lieber Willi Stelzhammer, liebe Leser,

mit diesen Zeilen wird Willi Stelzhammers Blog eröffnet. Die Edition-Sonnberg stellt diesen Blog dem Autor zur Verfügung.
Dort kann er täglich publizieren, was er erdacht hat und laut werden lassen will. Der Titel „laut gedacht“ stammt von Willi Stelzhammers Tochter Elena.

Viel Erfolg für diesen Blog wünscht

Rainer Clauss